1. ETAPPE
Mein Leben vor dem Lehramt: Schulzeit und Studium
2. ETAPPE
Mein Weg in den Lehramtshimmel: Referendariat und Beamtung
3. ETAPPE
Endlich Beamtin: Schulalltag von 2011 bis 2018
4. ETAPPE
Fluchtwege: Die letzten zwei Jahre
5. ETAPPE:
Mein Leben nach der Schule
6. ETAPPE:
Mein abschließender Blick auf das Schulsystem: Qualitätsanalyse
EPILOG
DANKSAGUNGEN
Obwohl Lehrpersonen noch bis Ende des letzten Jahrhunderts ein hohes Ansehen und Respekt genossen hatten, sehen sie sich heutzutage regelmäßig im Kreuzfeuer heftiger Kritik. Sie gelten als faul, auf hohem Niveau klagend und als Berufsgruppe, die anderen gegenüber viel zu bevorteilt ist, um sich ernsthaft beschweren zu dürfen. Insbesondere verbeamtete Lehrkörper haben Privilegien, von denen andere nur träumen können: eine komfortable Privatversicherung, ein dickes Monatsgehalt plus eine anständige Pension, absolute Jobsicherheit mit fortlaufenden Zahlungen, selbst bei langer Krankheit oder Frührente. Und zwölf Wochen Ferien im Jahr.
Dass ich mich im Alter von vierzig Jahren und nach über vierzehn Jahren als Englisch- und Französischlehrerin im gymnasialen Schuldienst entamten ließ, stößt daher auf großes Unverständnis. Es fielen Aussagen wie „Die hat das einfach nicht geschafft“ oder „Das ist aber auch schlimm mit den Kindern heutzutage“.
Ist das Beamtentum nicht Luxus schlechthin? Und gab ich meinen unkündbaren, privilegierten Job während einer weltweiten Seuche überhaupt bei klarem Verstand und freiwillig auf? Immerhin stehe ich kurz vor der Midlife-Crisis. Moment mal - bin ich da eventuell schon mittendrin?
Lehrerkollege Rainer Werner schrieb im Februar 2022 in einem Onlineartikel: Um im Lehrerberuf erfolgreich zu sein, braucht man eine gehörige Portion Eigensinn, eine Mission für das Erzieherische, für die Formung junger Charaktere. Er ist überzeugt: Das Scheitern von Lehrern liegt häufig in ihrer Persönlichkeit und mangelndem Charisma begründet. Ließ ich mich also vielleicht entamten, weil ich „mit den Kindern heutzutage“ überfordert war?
Fehlten mir wichtige persönliche Voraussetzungen? Oder sind Lehrer:innen doch belasteter, als bisher angenommen wurde? Tatsächliche Belastungen von Lehrer:innen sind nämlich nicht so richtig messbar, dafür werden zur Datenerhebung „QA-Teams“ (Mitarbeiter:innen der Bezirksregierung), mit „Beobachtungsbögen“ in die Schulen ausgesandt, um „Qualitätsanalysen“ durchzuführen. In „Qualitätstableaus“ kreuzen sie an, ob Aspekte der besuchten Unterrichtsstunden den Bewertungskriterien trifft in guter Qualität zu, trifft nicht in guter Qualität zu oder nicht beobachtet entsprechen.
Doch wer analysiert wo und wie die unmessbaren, unbeobachteten Zwischenräume und erfasst all diejenigen, die in Burnoutkliniken oder der Frühverrentung sitzen? Handelt es sich hierbei um allesamt gescheiterte Persönlichkeiten, die mit den Jobanforderungen nicht klarkamen?
Aber was ist denn nun die Wahrheit? Hatte ich nicht vormittags recht und nachmittags frei? War ich keine berufene Lehrkraft?
Ich halte es mit Fox Mulder von Akte X: „Die Wahrheit ist irgendwo da draußen.“
Fortan unterrichtete ich eine volle Stelle mit 25,5 Wochenstunden und sechs Korrekturklassen in Unter- und Oberstufe. Meine Schulleiterin hatte mir ursprünglich sieben zugeteilt und ich dieses Vertrauen als großes Kompliment gesehen. Der Lehrerrat, gewählte Lehrer:innen, die bei Bedarf zwischen Schulleitung und Kollegium vermittelten, hatte mich allerdings eines Besseren belehrt und interveniert.
Doch auch als „Studienrätin in Anstellung“ bewies ich mich und stand nach knapp zwei Jahren vor der heiß ersehnten Beamtung auf Lebenszeit. Um die rankten sich allerdings viele Legenden und ich befürchtete schon lange voller Sorge, dass eventuell eine Dummheit aus Teenagerjahren noch im vorzulegenden polizeilichen Führungszeugnis stand. Meine jugendliche Delinquenz war aber nicht mehr nachweisbar und auch die kurze Untersuchung der Amtsärztin bestand ich mit Sternchen. Wie angeraten verschwieg ich überzeugend meine körperlichen und psychischen Stresssymptome, war ohnehin inzwischen untergewichtig und wurde problemlos zu meinem persönlichen Happy End durchgewunken. Übergewichtige mag der werte Herr Staat nämlich gar nicht und so werden manche vor dem Bund fürs Leben erst auf Diät gesetzt, ehe sie das ärztliche Go bekommen. Nur Menschen mit psychischen und insbesondere chronischen Vorerkrankungen mag der Staat für eine Vereinigung bis zum bitteren Ende noch weniger. Daher wird darauf geachtet, dass alle verbeamteten Menschen gesund in Körper, Seele und Geist sind.
Meine endgültige Eignung bestimmte allerdings meine Schulleiterin und besuchte dafür in beiden Fächern meinen Unterricht. Es gab keine konkreten Kriterien für die vorzuzeigenden Stunden, daher bereitete ich mit grummelndem Magen alles ausführlich schriftlich vor. Es folgten ein Gespräch, ein Gutachten und dann endlich die heiß ersehnte Beamtung. Vor der Unterzeichnung des Vertrags wies mich meine Schulleiterin auf einige neue Pflichten hin: Weisungsgebunden, nicht streiken … Ich erinnere mich an den bizarren Hinweis, dass ich niemandem helfen durfte, aus dem Gefängnis auszubrechen. Zum damaligen Zeitpunkt konnte ich nicht ahnen, dass ich als Dauerkorrigierende in manchen Stressphasen sogar davon träumen würde, in ein Gefängnis einzubrechen, um in einer Zelle die vermeintliche Ruhe ohne stapelweise Klassenarbeitshefte zu genießen.
Im Englischen beschreibt die Redewendung to go to bed with someone nicht nur eine Runde Matratzensport, sondern auch, dass man sich wirtschaftlich mit jemandem oder einem Unternehmen zusammentut. Und offensichtlich teilte ich von nun an als Beamtin das Bett mit dem Staat. Mit einer Unterschrift besiegelte ich offiziell mein vorläufiges Schicksal als Frau Studienrätin Reuter, bekam anstatt einen Ring glänzende, goldene Handschellen und einen unromantischen Knebelvertrag über unsere Vereinigung. Von nun an war ich in der „Treuepflicht“, alles zu unterlassen, was dem Ansehen des Staates, der Dienstbehörde, dem Berufsbeamtentum oder der erforderlichen Loyalität zu meinem Dienstherrn schaden könnte. Es gibt sogar eine Eidesformel nach § 58 Abs. 1 BBG: Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und alle in der Bundesrepublik geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.
Natürlich lässt sich jetzt sagen, dass ich ein mündiger Mensch war, der sich nicht nur bei Gott hätte Hilfe holen, sondern sich auch generell hätte informieren können, aber genau da lag die Studienrätin im Pfeffer begraben: Diese Art des Denkens war mir nicht mehr zu eigen und ich band mich unbedarft für den Rest meines Lebens an einen einzigen, besitzergreifenden Job. Und wer weiß, hätte es damals bereits Instagram Accounts gegeben, hätte ich mich womöglich stolz wie eine Braut mit ihren Hochzeitsbildern mit meiner Ernennungsurkunde, Hashtags wie #teachergoals #beamtinauflebenszeit #lebedeinentraum und ein paar bedächtigen Zeilen präsentiert: Was kostet es eigentlich, Träume wahr werden zu lassen? Mut, einfach nur Mut!
Jeder Mensch, der heiratet, weiß allerdings, dass es notfalls die Option der Scheidung gibt. Ist man bereit für den konsequenten letzten, aber üblichen Schritt einer rechtlichen Beziehungsauflösung, kann man sich an allen Ecken Hilfe und zahlreiche Ratgeber holen, über prominente Beispiele lesen und auf Scheidungsrecht spezialisierte Kanzleien einschalten. Doch weil in der gesamten Ausbildung ein möglicher beruflicher Richtungswechsel niemals thematisiert wurde, war diese Schublade in meinem Kopf komplett geschlossen: Lehramt war eine nicht revidierbare Berufsentscheidung! 24/7 diente ich fortan bis ans Lebensende als Beamtin dem Volk und als Staatsdienerin einem Dienstherrn. Keiner Dienstherrin wohlgemerkt. Wie der gebeugte Butler von Dinner for One: „The same procedure as every year!“
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